Guter Flüchtling, schlechter Flüchtling
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Noch vor kurzem erfroren Menschen in polnischen Wäldern. Haben weiße Europäer:innen endlich Geflüchtete gefunden, die ihnen genehm sind – weiße Ukrainer:innen?
Ein Kommentar von Emran Feroz
4. März 2022, 11:26 Uhr
Bundesinnenministerin Nancy Faeser kündigte an, dass ukrainischen Geflüchteten schnell und unbürokratisch geholfen wird. Das sei gut und notwendig, findet unser Autor. Aber was ist mit allen anderen? © Yara Nardi/Reuters
In der Ukraine tobt Putins Krieg und Hunderttausende von Menschen sind auf der Flucht. In der Art und Weise, wie viele westliche Medien und Politiker:innen darüber sprechen, zeigt sich oft unverhohlener Rassismus. Dies wurde bereits in den ersten Tagen des Krieges deutlich, als US-amerikanische und britische Korrespondent:innen aufgebracht betonten, dass die Ukraine "kein Dritte-Welt-Land" wie "Irak oder Afghanistan" sei, sondern "europäisch" und "zivilisiert". Bei BBC meinte ein ukrainischer Ex-Staatsbediensteter sogar, dass er besonders emotional sei, weil die Opfer "blond und blauäugig" seien. Und bei Frank Plasbergs Hart aber fair schwadronierten einige der Gäste inklusive des Moderators von "unserem Kulturkreis" und die Feigheit jener "wehrfähigen, starken Männer", die 2015 nach Deutschland kamen und angeblich nicht Manns genug waren, ihre Heimat zu verteidigen.
Von Politiker:innen hörte man Ähnliches. Jean-Louis Bourlanges, ein französischer Politiker, bezeichnete ukrainische Geflüchtete als "hochqualifiziert", der bulgarische Premierminister sagte: "Das ist nicht die Flüchtlingswelle, die wir kennen, sprich, Menschen, über deren Identität wir uns nicht sicher sein können, die Terroristen gewesen sein könnten."
Kurz und knapp: Weiße Europäer:innen haben den "guten Flüchtling" gefunden. Jener, der die Hilfe verdient hat. Hier der tapfere Ukrainer, der sein Land verteidigt. Dort der feige Syrer oder Afghane, der Frau, Kind und Land zurückgelassen hat, anstatt zur Waffe zu greifen. Dass in ihren Ländern seit Jahren oder teils sogar Jahrzehnten Krieg herrscht und Menschen irgendwann einfach nicht mehr kämpfen können, für einen Diktator wie Assad auch nicht kämpfen wollen – oder wie die Kurd:innen in Rojava nach wie vor kämpfen – dafür gibt es kaum Verständnis.
Genauso wenig wie für den Fakt, dass jene Männer oftmals allein flüchten mussten, weil ihre Familien entweder bereits getötet wurden oder sie ihnen die harten Strapazen der Fluchtrouten ersparen wollten. Immerhin müssen die meisten Menschen aus jenen Ländern, die in den vergangenen Jahren von Krieg und Strapazen betroffen waren, auf ihrem Weg in Sicherheit das tödlichen Mittelmeer, hohe Mauern, Grenzzäune und Grenzbeamt:innen überwinden – Hindernisse, die seitens der EU erwünscht sind. Dass ukrainische Männer zwischen 18 und 60 Jahren derzeit nicht unbedingt freiwillig in der Ukraine bleiben, da es für sie ein Ausreiseverbot gibt, wird hingegen nicht gesehen.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser kündigte vor Kurzem an, dass ukrainischen Geflüchteten schnell und unbürokratisch geholfen werden soll. Sie sollen kein Asylverfahren durchlaufen und sofort Schutz für bis zu drei Jahre erhalten. Auch der Zugang zu Krankenversicherung und Arbeitsmarkt soll so schnell wie möglich gewährt werden. Das ist gut, wichtig und notwendig.
Und dennoch fragt man sich, warum all dies nicht für die Menschen aus Syrien galt, die wie die Ukrainer:innen heute vor Putins Bomben und dessen Schergen Baschar al-Assad geflüchtet sind. Warum galt das nicht für all die Afghan:innen, die in den letzten Jahren aufgrund von Krieg und Zerstörung ihr Land verlassen haben? Die zuletzt im vergangenen August nach der Rückkehr der Taliban in Kabul nicht mal von jenen Deutschen, mit denen sie jahrelang zusammengearbeitet haben – Stichwort Ortskräfte – evakuiert wurden?
Man wünscht keiner geflohenen, ukrainischen Person das Schicksal der geflohenen Afghan:innen oder Iraker:innen
Ich selbst habe viele afghanische Freund:innen und Verwandte, die in den letzten Jahren aufgrund massiver bürokratischer Hürden – die von den Behörden oft bewusst kreiert wurden – regelrecht zermürbt wurden. Manche von ihnen wurden sogar abgeschoben. Umso abstoßender ist die Tatsache, dass diese Menschen nun dem Hohn und Spott des rassistischen Bildungsbürgertums ausgesetzt sind.
Wer solch berechtigte Fragen als Whataboutism bezeichnet, macht seine eigene Ignoranz deutlich. Mit diesem rhetorischen Totschlagargument wird lediglich versucht, von unbequemen Fragen und Tatsachen abzulenken. Das hat natürlich auch mit einem gewissen Eurozentrismus zu tun, der gegenwärtig präsenter zu sein scheint denn je zuvor. Im Ukraine-Krieg sind "Gut" und "Böse", so scheint es, eindeutig. Mit der eigenen Gewalt, die an den europäischen Grenzen seit Jahren zum Alltag gehört, will man sich nicht auseinandersetzen. Ebenso wenig mit den brutalen Abschiebungen von Geflüchteten in Kriegsgebiete, mit westlichen Waffendeals mit Diktatoren oder mit bestehenden Kriegsnarrativen. Ein Beispiel hierfür ist etwa der Einsatz der türkischen Bayraktar-Drohnen seitens der Ukraine gegen das russische Militär, die als "Wunderwaffe" gefeiert wurden. Dass diese Killermaschinen in den vergangenen Jahren hauptsächlich gegen kurdische Zivilist:innen eingesetzt und de facto an diesen getestet wurden, wird verdrängt.
Keiner ukrainischen Person wünsche ich ein ähnliches Schicksal wie das der nach Deutschland geflohenen Afghan:innen, Iraker:innen, Kurd:innen oder Syrer:innen. Viele, die von Krieg und Leid betroffen sind, gönnen ihnen die angekündigte Abschaffung der deutschen Bürokratie. Ob sie wirklich eintritt, ist eine andere Frage. Der Rassismus jener Kulturkämpfer:innen, die in diesen Tagen die Geflüchteten aus der Ukraine für sich instrumentalisieren, ist lang bekannt – geradezu zynisch in einem Land, in dem Polenwitze, antislawischer Rassismus und die Ausbeutung osteuropäischer Arbeitskräfte zum Alltag gehören.